Donnerstag, 19. Mai 2011

Der Vampirhype – Flucht vor Blutsaugern ist zwecklos

19.05.2011, Sophie Barkey (DQF09)

Vampire © Didi01/ PIXELIO
Unsere Zeit ist schon irgendwie sonderbar. Allerlei Skurriles, Abstruses und Erstaunliches findet sich bei uns. Das zieht sich von ehrgeizigen Eltern, die durch ihre Kinder leben möchten und sie auf Laufstege jagen, auf Hochintelligenz testen lassen und sie zum Musikunterricht zwingen, weiter über eine Politik, die allein für Wahlen gemacht zu werden scheint, hin zu einem Fernsehen, das von schlecht geschauspielerten Schicksalsgeschichten und platten Talkshows dominiert wird.


Hier finden wir auch schon die Brutstätte unserer scheinbar auf Sensation gepolten Zivilisation: In den Medien ist Platz für jeden noch so sinnlosen Gedanken, solange er das Potenzial zum Aufmerksamkeit-Erregen bei der breiten Masse hat. Die langen Fäden der anspruchslosen Verdummung laufen in den großen Medien Fernsehen und Internet zusammen.
Seit dem Erscheinen von Stephenie Meyers „Biss-Reihe“ und der „Twilight-Filme“ gibt es eine neue große Belanglosigkeit, um die viel Wind gemacht wird. Es wurde etwas Neues erdacht für den gelangweilten, im Alltag verschwindenden Bürger. Etwas, das auf seine Art und Weise vollkommen anders ist. Die Saison der Vampire ist angebrochen. Doch was ist es, das uns an ihnen derartig fasziniert? Was ist es, das einen doch eher klischeehaften Film wie Twilight alle Rekorde brechen lässt? Das schlagartig etliche neue Blutsaugerromane aus dem Verborgenen in die Buchläden schießen lässt?

Wer jedenfalls sagt, das Phänomen für die Faszination Vampir sei ein komplett neuer Trend und ausschließlich auf Stephenie Meyers Biss-Bücher (2006) zurückzuführen, der irrt. Schon immer gab es einen gewissen Markt für Geschichten über Blutsauger und ihre Liebschaften. Eines lässt sich jedoch zweifelsohne festhalten – der Vampir als solcher hat sich verändert. Er ist zahmer, publikumsfreundlicher geworden.
 
Blicken wir zurück auf fast 400 Jahre Vampirgeschichte. Der Gründervater des Vampirmythos ist wohl Bram Stoker, der mit seinem „Drakula“ schon im 17. Jahrhundert für allerhand Aufmerksamkeit sorgte. Der von ihm geschaffene traditionelle Vampir ist von Grund auf böse, gottlos und tritt überdies nur an Menschen heran, um ihr Blut zu saugen. Tödlich sind für ihn Tageslicht und Holzpflöcke, allergisch reagiert er auf Knoblauch, Weihwasser, Kreuze und gesegneten Boden. Und als ob das nicht schon genug wäre, ist er auch noch unsterblich. Drakula verkörpert ein furchterregendes Monstrum. Weitere Monster wie „Nosferatu“ folgten seinem Beispiel.

Vor allem in den letzten Jahren bzw. im 20. Jahrhundert änderte sich die Darstellung der Vampire. Anne Rice legte einen weiteren Meilenstein der Vampirgeschichte mit ihren „Vampirchroniken“ rund um den Vampir Lestat. In ihren Erzählungen sind die Vampire noch immer mehr oder weniger schrecklich und leben von den Menschen isoliert. Dennoch zeigen sie menschliche Gefühle, wie zum Beispiel ein Verlangen nach Liebe und Angst vor Vereinsamung.
Der Schauder, der einem bei dem Gedanken an Vampire über den Rücken läuft, bleibt bei der neuesten Vampirgeschichte – leider – aus. Twilight's Edward, der Vampir der Geschichte, beißt keine Menschen, liebt die durchschnittliche Bella, die ein Mensch ist, und er ist auch ansonsten recht handzahm. Die krönende Spitze der „Devampirisierung“ ist die Art und Weise wie Meyers Vampire mit Sonnenlicht umgehen: Anstatt sich wie Drakula in Asche zu verwandeln, fängt sobald er in die Sonne tritt, Sexy-Edward an zu glitzern wie ein mit Calgonit gespültes Sektglas.

Traurig, wo die einst so Ehrfurcht gebietenden Vampire gelandet sind!
Graphik: Ellen Marken (FaMI09)
Schon komisch, aber genau diesen netten Vampir von nebenan, scheinen wir zu wollen.

Was auffällt: Edward und Bella heiraten, bevor sie Sex haben.

Grund genug, sich einmal eingehender mit der Autorin, Stephenie Meyer, auseinander zu setzen. Was ist sie für ein Mensch, wie denkt sie?

Stephenie Meyer gehört einer stark religiösen Gemeinschaft, manche sagen Sekte, den Mormonen, an. Sie glaubt an die Wirksamkeit des Betens, die Wichtigkeit der Abstinenz, besonders des sexuellen Verzichts, die Bedeutsamkeit von sonntäglichen Kirchenbesuchen und einer weiteren Reihe konservativer Werte. So erzieht sie ihre drei Kinder und so beeinflusst schrieb sie, laut eigener Aussage, auch ihre Romane. Dessen sollte man sich beim Lesen der Bücher oder Schauen der Filme bewusst sein. Ausgerechnet die Bücher einer offenbar so spießigen Autorin begeistern die jugendlichen Massen, wie kaum welche zuvor.
 
Graphik: Ellen Marken (FaMI09)
Was ist es denn nun, das uns so an ihnen gefällt?
Eine große Rolle spielt die Idee von der großen, ewigen Liebe, die in Twilight so allgegenwärtig ist. In uns (hauptsächlich wohl in den biologisch weiblich Definierten) steckt der Wunsch nach dem perfekten Partner. Unsere vielleicht geheimen, spießigen Bedürfnisse nach einem aufopferungsvollen, männlichen Beschützer werden in Twilight befriedigt. Es ist die weit verbreitete Sehnsucht nach dem so genannten Traumprinzen.

Was die Bücher interessant macht, ist aber die scheinbare Unnahbarkeit des Prinzen und die Gefahr, die ihn durch sein Vampir-Sein umgibt. Das Drama ist es, das uns fasziniert.

„Vampire sind die Popstars im Gruselkabinett, sie sind meist attraktiv, klug, cool, gut angezogen und wohlhabend. Aber sie wollen dich töten. Und wir wollen sein wie sie, aber was sie wollen, fürchten wir. Eine Kombination, die Stoff für endlos viele Geschichten bietet.“, erklärt Stephenie Meyer in einem Interview mit dem „Spiegel“.
Und die Flucht vor den Vampiren ist heute zwecklos:
Twilight-T-Shirts, Twilight-Sweatshirts, Twilight-Bettwäsche, Twilight-Poster, Twilight-Sticker, Twilight-Schlüsselanhänger, Twilight-Kalender, Twilight-Freundschaftsalben, Twilight-Lesezeichen, Twilight-Taschen, Twilight-Tassen, Twilight-Puzzles und Twilight-Thermoskannen - die Liste endet noch nicht einmal ansatzweise.

Durch welches Geschäft man auch immer schlendert – überall begegnen einem die Fanartikel. Genau hier wird aus der normalen Begeisterung für einen zugegebenermaßen guten und sogar intelligent geschriebenen Bestseller, ein kommerzieller Hype, den man nur als pervers bezeichnen kann. 
 
Ein gutes Buch (wenn auch vielleicht zu blutleer und schmalzig) kann heutzutage nicht einfach als solches belassen werden. Und es sind nicht die Leser, die es in den Himmel heben. Es sind die Filmemacher, die verzweifelt nach Chancen suchen, Geld zu verdienen und jede Möglichkeit dazu so weit ausschlachten, bis das Buch seinen eigentlichen Charakter und Charme verloren hat und nichts als ein Haufen unsympathischer Kommerz für „kleine Mädchen“ übrig bleibt.

Ob durch die verrückten Medien, die Begeisterung für ewige Liebe, verankert in unseren Köpfen, den Gruselfaktor oder begründet durch die geldgeile Wirtschaft – eines steht fest: Blutsauger sind angesagt!

19.05.2011, Sophie Barkey (DQF09)

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